Emil und Ernst

Es war an einem heißen Junitag, als ich in einer Milchviehanlage zwischen Mist und Metallschrott einen circa 4 bis 5 Monate alten Bullen sah. Er schaute mich mit großen, dunklen Augen angstvoll an. Auf die Frage, was mit ihm sei, sagte mir ein Mitarbeiter, er habe sich ein Bein gebrochen. Er sei noch immer zum Fressen und Saufen zu seinen Kollegen gegangen, aber seit zwei Tagen nicht mehr. Ich entschied mich, keine Paragraphen und nicht den Finger zu erheben, sondern den kleinen Kerl zu sichern, ihn nicht alleine sterben zu lassen. Zwei Stunden später lag er im frischen Stroh in meinem Stall. Sein Zustand war kritisch, sehr kritisch, und dass er die Nacht überleben würde, war sehr unwahrscheinlich, als ich in dieser Nacht im Stall saß und seinen Kopf hielt. Mit seinen großen, fragenden, ängstlichen Augen schaute ich ihn an und sagte: "Dein Name ist Ernst. Du bist wichtig, und ich werde alles dafür tun, dass es dir gut geht. Ich übernehme die Verantwortung, die andere nicht übernommen haben." Es vergingen viele Tage, Monate, Wochen – ein Auf und Ab, auch Rückschläge, Bangen, Mut machen, viele Verbände und wieder Hoffen. So wuchsen wir zusammen. Ernst hat mein Leben verändert. Ich baute ihn auf, und er mich. Dann kam der erste Wiesengang. Gras war für Ernst völlig fremd. Er sprang und rannte und freute sich. Mit etwa anderthalb Jahren war die Zeit gekommen, mein Versprechen einzulösen: dafür zu sorgen, dass er in eine Herde kommt und mit Artgenossen leben darf. Also suchte ich für ihn einen Lebensplatz, was nicht so einfach war, da es nicht viele gibt. Er musste seriös und transparent sein, und so kam ich auf das Tierparadies MUHrielle e.V. Am 12. November war es dann soweit. Am Abend vorher flossen viele Tränen der Freude, aber auch des Abschieds, doch Ernst zeigte sich wie immer: "Alles wird gut." Ich hatte damals in der Nacht die Verantwortung für meinen Ernst übernommen, und jetzt musste ich ihn gehen lassen. Ernst ging brav auf den Hänger. Er hatte es geschafft – ein Schatten-Tier trat ins Licht und konnte sagen: "Mein Name ist Ernst. Ab meinem fünften Lebensmonat wurde ich geliebt." Als der Hänger den Hof verließ, fragte ich mich: Was würde Ernst den Bauern sagen, die viel zu oft ihre Tiere nur als Ware betrachten? Er würde ihnen sagen: "Ihr habt Verantwortung für jedes Eurer Tiere. Sie hört nicht auf, wenn ihr dem Viehhändler die Papiere in die Hand drückt. Ihr habt es in der Hand, sie wertvoll zu machen." Was hatte dieser kleine Bulle zwischen Mist und Metallschrott geschafft? Er hatte Menschen bewegt, gezeigt, dass Tiere ihr soziales Verhalten, ihre Liebe und Empathie niemals verlieren. Wir Menschen, die wir glauben, die Überlegenen auf dieser Welt zu sein, sind gerade dabei, Liebe, Soziales und Empathie zu verlieren. Ernst hat gezeigt, dass Mastbullen nicht nur Beinscheiben, Kochfleisch und Bratenstücke sind, sondern Lebewesen mit Gefühl und Liebe. Danke, Ernst.
Deine Cordula

Wir danken Dir liebe Cordula! Das ist eine unglaublich berührende und kraftvolle Geschichte über Mitgefühl, Verantwortung und das tiefe Band zwischen Mensch und Tier. Es zeigt, wie eine Begegnung in einem scheinbar hoffnungslosen Moment zu einer tiefen Verbindung führen kann, die das Leben verändert. Du hast Ernst eine zweite Chance gegeben, ihm gezeigt, dass er nicht allein ist, und ihm Liebe und Fürsorge entgegengebracht, als er sie am meisten brauchte. Diese Geschichte unterstreicht, dass Tiere fühlende Lebewesen sind, die Respekt und Empathie verdienen, und sie erinnert uns Menschen daran, dass wir die Verantwortung für das Leben und das Wohl derer tragen, die in unserer Obhut sind. Ernst hat durch Deine Fürsorge die Chance auf ein besseres Leben bekommen und gleichzeitig viele Menschen dazu bewegt, über das Wesen von Tieren nachzudenken und ihre Verantwortung zu hinterfragen. Dein Engagement für Ernst zeigt, wie tief die Verbindung zwischen Mensch und Tier gehen kann und dass Liebe, Empathie und Verantwortungsbewusstsein wirklich alles verändern können. Wie ging es mit Ernst weiter: Als Ernst zu uns kam, wurde er mit dem Ochsen Cooper vergesellschaftet. Doch es dauerte nicht lange, bis klar wurde, dass dies nicht die richtige Lösung war. Die beiden lieferten sich Kämpfe, und trotz unserer Bemühungen, Ernst nicht länger alleine zu lassen, funktionierte das Zusammenleben nicht. Zu allem Überfluss entdeckte Ernst die weiblichen Tiere nebenan für sich und blieb, in einem verzweifelten Versuch, zu ihnen zu gelangen, im Gitter stecken. Es dauerte eine Weile, bis einige Männer ihn mit Werkzeug befreien konnten. Eigentlich war geplant, Ernst kastrieren zu lassen, doch dazu kam es nicht mehr. Eine Gelenkentzündung machte eine sofortige Einweisung in die Tierklinik Leipzig notwendig, wo er schließlich ein halbes Jahr lang blieb. Dort wurde er dann auch kastriert. Die Mitarbeiter der Tierklinik und seine neuen Paten kümmerten sich während dieser Zeit sehr liebevoll um ihn. Nach Monaten der Genesung durfte Ernst endlich nach Hause. Schnell erkannten wir, dass es für seine weitere Erholung am besten wäre, ihn wieder in die Obhut von Cordula zu geben, der mutigen Frau, die ihn damals gerettet hatte. Fast zeitgleich mit Ernst wurde in der Klinik ein kleines Kälbchen namens Emil aufgenommen, eine Frühgeburt und Intensivpatient. Zusammen mit ihm waren die Kälbchen Einstein und Julio auf der Intensivstation, zwei Tiere, die wir aus Milchviehanlagen gerettet hatten, wo sie keine Überlebenschance gehabt hätten. Leider schaffte es Einstein nicht, und auch Julio kämpfte noch sechs Wochen, bevor er uns verließ. In dieser Zeit sahen wir Emil zum ersten Mal – er war ein kleines, zerbrechliches Häufchen Elend. Doch Emil, genau wie Ernst, kämpfte sich ins Leben zurück, aber sein Geburtsstall wollte ihn nicht zurück. Ein halbes Jahr später waren beide bereit für ihren Neuanfang in ein Leben voller Glück. Sie waren so lange allein gewesen, doch nun hatten sie einander. Es schien wie eine wundervolle Fügung des Schicksals, dass sie diesen Weg gemeinsam gehen konnten. Heute leben Ernst und Emil bei Cordula, die uns weiterhin tatkräftig unterstützt und nun offizielle Pflegestelle von uns ist. Sie hat uns lange nicht verraten, dass sie pensionierte Tierärztin ist, denn sie sagt immer: "Das ist nicht so wichtig." Wir glauben, sie will uns damit sagen, dass Titel oder Berufe nichts über den wahren Wert eines Menschen aussagen. Ihr tiefes Wissen und ihre Erfahrung sind für uns von unschätzbarem Wert, ebenso wie ihr Verständnis für die Realität in den Ställen. Ernst feiert bereits seinen 3. Geburtstag und wir freuen uns alle so mit ihm. Danke liebe Cordula, Du bist so ein wertvoller Mensch!! Danke lieber Ernst, Du bist so ein wichtiger Anker!!

Wer die beiden unzertrennlichen Freunde mit einer (Teil)Patenschaft unterstützen möchte, kann dies ganz einfach und bequem über unser Patenschaftsformular tun.

Eure Conny vom Tierparadies MUHrielle e.V.